
Stephen Baxter: Sternenkinder (2005)
(Bildquelle: https://www.phantastik-couch.de/titel/1505-sternenkinder/ 15.11.2023)
Dies ist der zweite Band von Baxter`s „Kinder des Schicksals“-Zyklus. Die Geschichte handelt von einem mehr als 20.000 Jahre andauernden Krieg gegen das gottgleiche außerirdische Volk namens Xeelee. Die Menschheit hat mittlerweile die gesamte Milchstraße erobert, unzählige Völker vernichtet oder versklavt und ihre Heimatgalaxie in gewissen Maßen für sich bewohnbar gemacht (jedoch nicht so optimistisch wie beispielsweise in Dan Symmon`s Vision von Endymion und Hyperion).
Der letzte Gegner, der sich der Menschheit mehr oder weniger aktiv entgegenstellt ist das Volk der Xeelee, ein geheimnisvolles, außerirdisches Volk, das seit Anbeginn unserer Zeit existiert.
Kann die Menschheit überleben, wenn sie sich seit 20.000 Jahren im Krieg befindet und nur noch für den Krieg lebt? Und ist unsere Form des Lebens die einzig Mögliche? Der Roman erzählt die Geschichte eines jungen Piloten und seines älteren Pendants aus einer anderen Zeitebene. Beide müssen sich in unterschiedlichen Situationen gegen das erstarrte Weltbild der Koalition behaupten und schließlich zusammenarbeiten, um die Menschheit vor den Xeelee zu bewahren. Eine Kernaussage des Romans ist, dass die Menschheit nur überleben kann, wenn sie sich ständig anpasst und neue Wege beschreitet. Baxter beschreibt dabei die Folgen und Auswirkungen eines Krieges, der mit Überlichtgeschwindigkeit geführt wird und somit unweigerlich zu Zeitparadoxa führt. Zugleich wird in einer linearen Parallelgeschichte die Geschichte des Universums erzählt und wie sich in jeder Phase des entstehenden Universums Leben bildet, weil es selbst durch das Leben entstand. Auch wird erklärt, was die Xeelee sind und wie sie entstanden sind.
(Quelle: https://de.m.wikipedia.org/wiki/Stephen_Baxter, 22.04.2023)
Achtung, SPOILER-Warnung! Der folgende Text enthält eine Inhaltsbeschreibung des Buches.
Der Roman behandelt die Erlebnisse eines jungen Piloten, der am Rande des Zentrums der Milchstraße in zahllosen Schlachten gegen Außerirdische kämpft. Bei einem Gefecht mit solchen Xeelee-Jägern wendet er eine für sein Volk vollkommen unkonventionelle Lösung an, die gegen alle Regeln verstößt. Er überlebt dadurch und kehrt mit einem erbeuteten Xeelee-Schiff zurück. Dabei überwindet er die normale Zeitschranke und begegnet seinem früheren Ich (wie das genau funktionieren soll entzieht sich meiner Kenntnis). Dies ist in einer solchen kriegerischen, überlichtschnellen Auseinandersetzung scheinbar ein recht normaler Vorgang.

(Bildquelle: https://xeelee.fandom.com/wiki/Greenships 15.11.2023, Künstler: Neil Blevins, seine Homepage: http://neilblevins.com/))
Trotz seines Erfolges wird er jedoch von dessen Vorgesetzten degradiert, genauso, wie sein jüngeres Ich.
Das jüngere Ich des Piloten wird daraufhin von einem Kommissar vom alten Erd-System requiriert und mitgenommen, um dessen eigenen wissenschaftliche Pläne umzusetzen. Der Kommissar plant nach Jahrtausenden der Patt-Situation endlich eine Waffe zu entwickeln, die den Xeelee nachhaltigen Schaden zufügen kann.
Meiner Meinung nach zerstört der Roman in gewisser Weise die bisherige gottgleiche Darstellung von Baxter`s Xeelee, eine Existenzform mit der Menschen in keiner Weise kommunizieren können. In diesem Buch werden sie zu unlogisch agierenden, fehlerhaften Technokreaturen degradiert.
Zur Einordnung meiner Beurteilung: Bei den Xeelee handelt es sich um eine Spezies, die praktisch unendlich Ressourcen zur Verfügung hat und in gewisser Weise die Zeitabläufe ändern kann. Sie existierten bereits während des s.g. Big Bangs. Sie beeinflussen aktiv die Zeitlinien, indem sie beispielsweise die Instanzen ihres Volkes in der Zeit zurück schickt, um korrigierend einzugreifen. Diese Spezies setzt u.a. riesige Artefakte in Form von Würfeln, von den Menschen auch als "Zuckerwürfel" benannt, im gesamten (!) beobachtbaren Kosmos ein, um jeweils eine komplette Instanz ihres Volkes, mit allem Wissen und ihrer gesamten Macht zu etablieren. Öffnen sich diese Würfel, können sie vollkommen autarke Zivilisationen gründen.
Jedes zentrale Schwarze Loch einer jeden beobachtbaren Galaxie scheint von den Xeelee dazu in eine umfassende Produktionsmaschine und in einen Supercomputer umgewandelt worden zu sein. Zusätzlich bauen die Xeelee im Bereich des Großen Attraktors nichts weniger als ein mehrere Lichtjahre umfassendes Tor in beliebige andere Dimensionen. Und diese unvorstellbare, gottgleiche Rasse wird von menschlichen Piloten sowie von auf Asteroiden ausgesetzten Infanteristen nahe des galaktischen Zentrums angegriffen und teilweise besiegt. Das ist unglaublicher Mist, sorry für meine ehrliche Meinung dazu. Da werden Asteroiden mit abertausenden Menschen gegen die Xeelee geschleudert, damit diese extra hinfliegen und einen Kampf Mann gegen Mann austragen müssen. Warum sollen sie dies machen? Wenn man sich nur ein wenig mit Astronomie auskennt, weiß man dass die Entfernungen im Weltall einfach zu groß sind, um dafür solchen Aufwand zu betreiben. Warum zum Beispiel sollen die Xeelee die von Menschen bevölkerten Asteroiden im Einzelkampf angreifen? Es würden einfach Energiestrahlen aus unvorstellbaren Entfernungen genügen, um alles - samt den Asteroiden selbst - zu verdampfen. Naja, diese Kritikpunkte könnte ich jetzt noch fortsetzen, aber lassen wir es mal dabei bleiben. Ich habe viele Stellen überblättert. Die grundlegenden Ideen des Buches, das erdachte Weltbild sozusagen, interessierten mich viel mehr. Diese positiven Punkte möchte ich nun näher erläutern.
Die Gesellschaftsordnung der Menschheit wird erschreckend kalt und hoffnungslos dargestellt. Es ist eine monarchische Diktatur, die über Millionen Welten herrscht. Die Entwicklung der Erde ist dabei nachvollziehbar. Nach den tödlichen Knechtschaften durch zwei außerirdische Zivilisationen, den Squeem und später den Qax, während dessen fast alle geschichtlichen Überbleibsel (u.a. auch die Namen der einstigen Städte) auf der Erde ausgelöscht wurden, fanden sich die Überlebenden jeweils zwischen den technologischen Überbleibseln Ihrer besiegten Unterdrücker wider. Ohne Vergangenheit, ohne eigenem Willen und zwischen den Ruinen fremder Wesen. Die Befreiungskriege waren allesamt verlustreich und zermürbend. Natürlich bleibt dies in der Psyche der Menschheit nicht folgenlos. So wurden beispielsweise alle Namen einstiger Menschenstädte von den Qax verboten und gelöscht. Zur Zeit des Romanes werden diese Städte (die in den unzerstörbaren Massenbehausungen der Qax entstanden) nur mehr als Konurbationen mit Nummern bezeichnet.
Künstlerische Darstellung eines Ministeriums-Gebäudes (auf Basis der unzerstörbaren Artefakte der Qax) auf der Erde
Bildquelle: Neil Blevins (https://artofsoulburn.blogspot.com/2016/09/new-starship-hull-and-xeelee-sequence.html 15.11.2023, seine Homepage: http://neilblevins.com/)
Die Diktatur der Menschheit verfolgt das Ziel, jede fremde Zivilisation zu besiegen und zu unterdrücken. Die Menschen sollen nie mehr Gefahr laufen, von einer fremden Macht vernichtet zu werden, daher dieser unerbittliche Krieg gegen die Xeelee.
Der Roman ist sehr spannend geschrieben, unzählige Schlachten müssen die beiden Pirius (die junge und die alte Version) bestehen, um schließlich in einem ultimativen Endkampf im Zentrum der Galaxie weitreichende Entscheidungen zu treffen. Im Endeffekt ist die Menschheit für die Xeelee nicht mehr und nicht weniger als lästiges Ungeziefer, dessen Bestrebung an weiterem Machtzuwachs im Universum eingehegt werden muss. Die Menschen verstehen nicht, dass sich diese Außerirdischen in einem noch viel gewaltigeren, Äonen umspannenden Krieg mit der Dunkelmaterie-Spezies der Photino-Vögel befindet. Diese Photino-Vögel, die in allen bekannten Sternen existieren, versuchen sämtliche Sterne in das Zwergstadium zu transformieren. Dies führt dazu, dass keine Sternenriesen geboren werden, aus denen dann Schwarze Löcher werden, die wiederum von den Xeelee zum Überleben benötigt werden. Aus diesem Grund planen die Xeelee über ein Tor andere, stabilere Universen zu besiedeln. Die Menschheit ist hierbei nur eine Randepisode.
Diese Superlative kann Baxter aber noch weiter toppen, und zwar mit der Einführung der Monaden. Existierten die Xeelee bereits einige Planck-Sekunden nach dem Urknall, gab es die Monaden bereits vorher!
Im letzten Teil greift Baxter wieder auf seine visionären Ideen zurück, hier zeigt er seine Stärke und er entwickelt dabei eine Vision über die zyklenhafte Entwicklung von unendlich vielen Universen. Neben den Xeelee und den Photino-Vögeln bringt er dazu weitere gottgleiche Völker ins Spiel.
Es gab keinen Ort. Es gab keine Zeit. Ein menschlicher Beobachter hätte hier nichts erkannt: keine Masse, keine Energie, keine Kraft. Es gab nur einen wogenden, willkürlichen Schaum, dessen fragmentierte Geometrie sich fortwährend veränderte. Selbst Kausalität war ein törichter Traum.
Die ordentliche, den Menschen bekannte Raumzeit war von Vakuumenergie durchtränkt, aus der virtuelle Partikel, Elektronen und Quarks, ins Dasein sprudelten und sich dann verteilten oder annihilierten; Quantenunschärfe bestimmte ihre kurzen Auftritte. An diesem außergewöhnlichen Ort sprudelten ganze Universen aus dem Schaum, dehnten sich aus und zerstreuten sich oder brachen mit einem verzweifelten Auflodern in sich zusammen.
Diese chaotische Kavalkade von Möglichkeiten, dieser Ort des Nichtseins, wo sich komplette Universen in Riffen aus schaumiger Gischt zusammenscharten, wurde von einem Licht jenseits des Lichts durchflutet. Doch selbst in diesem Hexenkessel der Fremdartigkeit gab es Leben. Selbst hier gab es Bewusstsein.
Nennen wir sie Monaden.
(Quelle: Sternenkinder; Baxter, Stephen; 2005)
Die revolutionären Ideen gepaart mit einer recht logisch klingenden Abfolge, wie das Universum entstanden ist, das sind die großen Stärken des Romans, und das so ziemlich alle guten Ideen der bisherigen Bände hier vereint werden (Silbergeister, Quagmiten, Ja Softs, Koaleszenzen, Xeelee, Photino Vögel ...).
Im siebzehnten Jahrhundert hatte der deutsche Mathematiker Gottfried Wilhelm Leibniz sich vorgestellt, die Realität bestünde aus Pseudo-Objekten, die ihre Existenz einzig und allein ihrer Beziehung zueinander verdankten. In seinem Konzept der »Monade« hatte Leibniz intuitiv etwas von der Wahrheit der Geschöpfe erfasst, von denen dieses Reich wimmelte. Sie existierten, sie kommunizierten, sie machten umfangreiche Erfahrungen und erfreuten sich einer umfassenden Gemeinschaft. Und dennoch existierten »sie« nicht aus sich selbst heraus; erst ihre Beziehung zueinander definierte ihre abstrakten Wesenheiten.
An diesem fragmentierten Ort war keine andere Lebensform möglich.
Vor langer Zeit hatten sie der Geburt eines Universums beigewohnt.
Es stammte aus einem ähnlichen Hexenkessel der Wirklichkeiten, eine einzelne, aus der Gischt entnommene Blase. Als das Baby-Universum sich ausdehnte und abkühlte, blieben die Monaden bei ihm. Da sie dem neuen Kosmos von Anbeginn angehörten, durchtränkten und umgaben sie es. Zeit erlebten sie nicht wie die herumwimmelnden Bewohner des Universums; ihre Wahrnehmung ähnelte vielleicht eher dem Realitätsstaub des Konfigurationsraums. Doch sobald die Realität des Universums geronnen war, sobald der suprakosmische Schaum sich abgekühlt hatte, gingen die Monaden in einen erzwungenen Ruhezustand über. Eingehüllt in schützende Raumzeitknoten, träumten sie die lange Geschichte ihres Universums mit all seinen Imperien und Kriegen, seinen Tragödien und Triumphen. [...]Das Universum alterte, wie alle Dinge; in seinem Innern wurde die Zeit unglaublich lang, und der Raum dehnte sich bis an die äußerste Grenze. Schließlich ächzte das Gewebe des Universums und zerriss – und eine Blase einer höheren Realität kam spontan daraus hervor, eine Wiederkehr des Nichtorts, wo Zeit und Entfernung keine Bedeutung besaßen. So wie das Universum einst vom Chaos hervorgebracht worden war, wurde dieses Tröpfchen Chaos nun vom versagenden Stoff des Universums geboren. Alles verlief zyklisch. Und in dieser Blase, in der die Raumzeit wieder aufgetaut wurde, erwachten die Monaden von neuem; in ihrem suprakosmischen Schaum waren sie vorübergehend wieder am Leben. [...]
Dann betteten sie sich in seine Struktur ein und machten sich bereit, es zu formen. Die Monaden reicherten das keimende Universum mit unnennbaren Eigenschaften an, von deren Existenz wenige seiner Bewohner auch nur etwas ahnen würden.
Trotz all seiner Schönheit war das neue Universum einförmig und symmetrisch – aber instabil, wie ein auf der Spitze stehendes Schwert. Selbst die Monaden hatten keinerlei Kontrolle darüber, wie diese primordiale Symmetrie gebrochen, welches Schicksal aus einer unendlichen Anzahl von Möglichkeiten ausgewählt werden würde.
Genau das war natürlich das Schöne daran.
Für die Bewohner dieses neuen Kosmos begann alles mit einer Singularität: einem Moment, in dem die Zeit begann, in dem der Raum geboren wurde. Für die Monaden, deren chaotische Urwirklichkeit nun erneut zu etwas Starrem und Glattem ausfror, bedeutete die Singularität jedoch ein Ende: Für sie war alles schon wieder vorbei. In die ordentliche, gefrorene Raumzeit eingeschlossen, würden sie äonenlang schlafen, bis dieses Universum seinerseits alt wurde, bis es neue Fragmente des Chaos hervorbrachte und sie wieder erwachen konnten.
(Quelle: Sternenkinder; Baxter, Stephen; 2005)
Die von Baxter neu erdachten Monaden existierten also bereits vor der Geburt unseres Universums und agierten scheinbar bis in die Planck-Ära. Sie konnten in der Raumzeitstruktur des ausgebildeten Universums zwar nicht interagieren, doch sie "schliefen" in den primordialen schwarzen Löchern des Universums. Dort entwickelten sich komplexe Faunen unvorstellbarer Geschöpfe, die allesamt auf Basis der Chemie der Raumzeitdefekte, ein vernetztes geometrisches Gebrodel von Punkten, Linien und Ebenen, existierten.
Es gab Vögel mit Schwingen aus Raumzeit, Spinnen mit Beinen aus kosmischen Strings, ja sogar Fische, die tief in den verzerrten Herzen der schwarzen Löcher herumschwammen. »Pflanzen« ernährten sich passiv von Energieströmen wie den Raumverzerrungen an den Ereignishorizonten der schwarzen Löcher, Ausbeuter-»Tiere« ernährten sich wiederum von diesen Synthetisierern – und andere Räuber ernährten sich von ihnen.
(Quelle: Sternenkinder; Baxter, Stephen; 2005)
Das ist Baxter in Reinkultur, wie ich ihn gerne lese. Extremste Ideen, wie sich "Leben" in schier ewigen Ausmaßen entwickelt und anpasst. Nach seiner Vorstellung gab es immer und überall Leben, und zwar bereits vor und während des Urknalls. Er bezieht sich dabei auf die Anwendung unterschiedlich schnell ablaufender Zeitskalen, je nach vorhandener Temperatur. So existierten bereits während der ersten Millisekunden unbeschreibliche Welten mit unzählbar vielen Völkern. Während der Planck-Ära kam es zu einem großen Krieg. Die einheimischen Spezies beschlossen, die unaufhaltsamen Eindringlinge zu bekämpfen, indem sie weitere Phasenübergänge initiierten (ähnlich wie jenen ersten Übergang zwischen Gravitation und den GUT-Kräften). Dies bedeutet, dass die GUT-Ära des Urknalls von diesen unfassbaren Spezies als Waffe angewandt wurde. Die überlebenden Spezies kristallisierten sich in Materie- und Antimaterie-Spezies aus, die sich wiederum in einem weiteren Krieg vernichteten.
Es entstanden Quagma-Wesen (z.B. Quagmiten, die nicht größer als ein Atomkern waren), die gemeinsam mit den älteren Völkern das sich ausdehnende Universum bewohnten. Aber auch sie blieben nicht ewig. Ihre Zivilisationen wurden durch den nächsten Phasenübergang, die s.g. Baryogenese, vernichtet. Diese Wesen überlebten lediglich in rund ein Meter großen Quagma-Archen, die ewig durch die Raumzeiten gleiten.
Das alles und viel mehr vermengt Baxter in eine ultimative Schöpfungsgeschichte des Seins, wobei der rote Faden des Lebens zu jeder Zeit und an jedem Ort existiert.